Menschen sind Teil der Natur

Wir reden heute viel über das Anthropozän – ein neues Erdzeitalter, in dem wir Menschen durch unsere massiven Eingriffe in unsere Umwelt ein geologischer Faktor geworden sind. Oft wird der Beginn des Anthropozäns mit dem Beginn der Industrialisierung und der damit verbundenen Emission von CO2 verbunden – das ist aber, wie vieles andere am Konzept des Anthropozäns, nicht unproblematisch.

Menschen sind Teil der Natur und durch ihr Leben in der Natur haben sie auch schon immer Einfluss auf die nicht-menschliche Natur genommen, in Europa oft wenig nachhaltig, in vielen indigenen Kulturen wie denen Amerikas oft deutlich nachhaltiger in der Gestaltung äußerst fruchtbarer Ökosysteme, die über Jahrhunderte stabil waren.

Es gibt aber ein schreckliches Ereignis, das man sogar im globalen historischen CO2-Gedächtnis, wie zum Beispiel Eisbohrkernen aus Grönland, erkennen kann: Die Ankunft europäischer „Eroberer“ in Amerika Ende des 15. Jahrhunderts. Man schätzt, dass vor dieser Ankunft 60 Millionen Menschen in Nord- und Südamerika lebten, 10 % der damaligen Weltbevölkerung. Hundert Jahre später lebten dort nur noch 6 Millionen Menschen. Die meisten starben durch eingeschleppte Krankheiten. Dieses schreckliche Ereignis, das ganze Gesellschaften, Kulturen und Weltbilder unwiederbringlich ausgelöscht hat, hatte so immense Ausmaße, dass man es sogar im CO2-Gedächtnis findet: Die wegfallende Bewirtschaftung von Ackerflächen der Größe Frankreichs führte zum Wachstum von Wäldern und dieses zu einem Absinken des CO2-Gehalts um ca. 7-10 ppm in der Atmosphäre, was ungefähr 2 Jahren heutiger CO2-Emissionen entspricht.

Was kann man daraus lernen? 
Erstens ist die Sicht darauf, dass Menschheitsereignisse erst mit der Industrialisierung den CO2-Gehalt der Atmosphäre beeinflusst haben, problematisch, besonders, wenn man damit ein schreckliches Ereignis ausblendet, das von Europäern verursacht worden ist. Mit der Industrialisierung hat dieser Einfluss ein neues Ausmaß erreicht, sichtbar war er aber schon vorher. Es zeigt zudem auch, dass auch unsere Angst vor dem durch unsere ausbeuterische Wirtschaft verursachten Untergang unserer Zivilisation eine sehr westliche Perspektive ist; für die Menschen Amerikas kam der Untergang schon 1492.

Zweitens zeigt dieses Ereignis, wie begrenzt das Potential von Aufforstung und wie alternativlos die Beendigung des Verbrennens von Kohle, Öl und Gas ist. Selbst ein so einschneidendes Ereignis wie das Sterben der Bevölkerung zweier Kontinente und das damit verbundene Zuwachsen von Ackerflächen hat im Vergleich zu unseren heutigen Emissionen kaum den CO2-Gehalt der Atmosphäre verändert.

Drittens sollten wir die Erinnerung an diese menschengemachte Katastrophe aufrechterhalten, um gerade im Umgang mit indigenen Kulturen und ihrer Verbindung mit dem Land, auf dem sie wohnen, sensibel zu sein. Vor kurzem wurde beschlossen anzustreben, 30 % der Landfläche der Welt unter Naturschutz zu stellen. Damit dies nicht mit Vertreibung von Menschen einhergeht, braucht ein solches Ziel ein kluges Konzept von Naturschutz, bei dem Menschen als Teil der Ökosysteme, die sie bewohnen, verstanden werden und die Rechte und die Selbstbestimmung der an für Naturschutz vorgesehenen Orten lebenden Menschen beachtet werden.

Georg Sauerwein, aktiv bei C4F, Physiker, Philposoph und Promotionsstudent in Theologie